Eine schwächere Traktionsausrüstung kann man auch in einen Velaro bauen. Dafür musste Siemens nicht extra eine neue Plattform für den ICE 4 entwickeln. Auch hat ein ICE 4 natürlich nicht die Laufeigenschaften eines Velaro. Das wäre doch absolute Geldverschwendung so teure Fahrwerke in einen langsameren Zug zu bauen. Siemens und Bombardier haben für den ICE 4 neue Drehgestelle entwickelt die genau auf die notwendigen Anforderungen ausgelegt sind und so das wirtschaftliche Optimum darstellen (und da es von beiden Typen um über 1.000 Drehgestelle geht, lohnt sich hier natürlich auch die Entwicklungsarbeit).
Eine Zulassung für eine höhere Geschwindigkeit scheitert doch alleine schon an den Radsatzlasten. Der ICE 4 hat eine maximale Radsatzlast von 18 t. Bei Geschwindigkeiten von über 250 km/h sind jedoch maximal 17 t zugelassen. Das lässt sich also sogar schon aus den technischen Daten auslesen.
Die DB hat sich hier für einen Zug entschieden, der einige Besonderheiten aufweist. So sind die Wagenkästen sehr lang und die Traktionskomponenten sind immer in einzelnen Wagen (PowerCars) konzentriert. Das führt natürlich dazu, dass es auch recht hohe Gewichtsunterschiede zwischen den Wagen gibt. Die nicht angetriebenen Wagen sind recht leicht während die angetriebenen Wagen recht schwer sind. Das führt dann natürlich auch dazu, dass man zum einen weniger Wagen benötigt (ein Velaro mit vergleichbarer Kapazität hätte 14 Wagen und nicht 12). Auch können diese Züge recht flexibel zusammengestellt werden und zur Wartung einfach getrennt werden. Bei einem Velaro ist das Gewicht gleichmäßiger verteilt (Trafo und Umrichter sind in unterschiedlichen Wagen), dafür hat er dann die anderen Vorteile nicht.
Grob eingeteilt bieten die meisten Hersteller vier verschiedene Fahrzeugkonzepte an um die unterschiedlichen Anforderungen der Marktsegmente zu erfüllen. Von jedem Segment in ein höheres gibt es meist ordentliche Sprungkosten.
- Niederflur-Nahverkehrszüge für Geschwindigkeiten bis einschließlich 160 km/h. Das ist dann der typische Nahverkehrszug wie wir ihn im Regionalverkehr kennen (z.B. Stadler Flirt160, Bombardier Talent 2, Alstom Coradia Continental, ...)
- "langsame" Niederflur-Fernverkehrszüge für 200 km/h, der meist auf dem Nahverkehrszug basiert, insbesondere aber mit Änderungen bei den Laufeigenschaften, der Aerodynamik, sowie dem Druckschutz und der Druckertüchtigung (wobei letzteres bei der Geschwindigkeit noch nicht immer der Fall ist). Solche Züge gibt es in Deutschland bisher nicht. Im Ausland ersetzen sie aber immer mehr Züge, die wir hier bisher noch als lokbespannte IC-Züge fahren (z.B. Alstom Coradia Liner V200, Stadler Flirt200 und Kiss200, ...)
- Hochgeschwindigkeitszüge bis einschließlich 250 km/h. Diese sind dann voll druckertüchtigt und auch schon deutlich "stabiler" gebaut als die langsameren Züge. Auch haben diese Züge dann eine volle Verkleidung und schon sehr gute aerodynamischen Eigenschaften. Diese Züge fahren vor allem in recht dichten Netzen mit vorhandenen, aber doch eher kurzen Schnellfahrstrecken (z.B. Siemens ICE 4, Alstom Pendolino, Stadler EC 250,...).
- Super-Hochgeschwindigkeitszüge für über 250 km/h und bis etwa 400 km/h (typischerweise etwa 320 km/h). Diese Züge eignen sich dort, wo über längere Distanzen sehr hohe Geschwindigkeiten gefahren werden können und sind sozusagen die crème de la crème und in allen Bereichen nochmal etwas besser als die vorherige Kategorie. (z.B. Siemens Velaro (dazu gehört auch der ICE 3), Alstom AGV und Duplex, Bombardier Zefiro, ...)
Wenn man also in Europa aktuell neue Züge kauft, dann überlegt man sich erstmal, in welche dieser Segmente man möchte. Was für ein Zug macht also im Streckennetz Sinn und wie viel Geld kann man überhaupt investieren. Die DB FV setzt wegen ihres großen Netzes, so wie auch die meisten anderen großen Bahnen, auf eine Mischung als allem. Bei den Niederflur-Nahverkehrszügen werden Bombardier Twindexx Vario (IC 2) beschafft. Die neuen Hochgeschwindigkeitszüge sind die ICE 4 und bei den Super-Hochgeschwindigkeitszügen ist es der Velaro D (auch BR 407 bzw. einfach ICE 3) geworden. Bei den langsamen Fernverkehrszügen weiß die DB aktuell wohl noch nicht genau was sie möchte, aber auch da werden wir wohl in absehbarer Zeit eine Ausschreibung sehen (eventuell wird das auch wieder etwas lokbespanntes wie auch heute schon).
Ich hoffe damit ist jetzt einigermaßen klar, wie der Markt aktuell aufgebaut ist. Wenn man schneller fahren möchte als die gewählte Klasse zulässt, muss man ein Fahrzeug aus einer höheren Klasse kaufen das dann auch die entsprechenden Eigenschaften mitbringt. Einfach so eine höhere Geschwindigkeit außen auf den Zug zu drucken geht also nicht.